17. Dezember 2018

"Die Energiewende erfordert eine neue Form der Kommunikation"

Die Energiewende stellt neue Anforderungen. Wir trafen TransnetBW-CEO Dr. Werner Götz und Ministerialdirektor Helmfried Meinel vom Umweltministerium Baden-Württemberg zu einem Gespräch über das neue Pilotprojekt "DA/RE".

Herr Dr. Götz, was genau steckt eigentlich hinter dem Kürzel "DA/RE"?
Götz: "DA/RE" steht für "Datenaustausch / Redispatch". Wir schaffen eine digitale Plattform, um künftig mehr dezentrale Anlagen zum Redispatch nutzbar zu machen und damit die Netz- und Systemsicherheit zu erhöhen. Dafür müssen wir wissen, welche Potenziale in den vielen Anlagen im Verteilnetz zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden sein werden. Dann können wir gemeinsam mit den Verteilnetzbetreibern die Nutzung dieser Potentiale koordinieren und optimieren. Zu diesem Zweck bedarf es eines effizienten Informations- und Datenaustausches zwischen allen Spannungsebenen.

Stellt DA/RE einen Paradigmenwechsel, etwas grundlegend Neues dar?
Götz: An den Rollen und Verantwortlichkeiten der beteiligten Akteure ändert sich grundlegend nichts. Aber das Projekt ist insofern etwas Neues, als dass wir damit uns auf die Welt von morgen und übermorgen vorbereiten. Die Energiewende schafft komplett neue Rahmenbedingungen: Vor einigen Jahren haben etwa 500 Großkraftwerke Deutschland versorgt. Heute haben wir bereits 2 Millionen dezentrale Erzeugungsanlagen, die nicht auf der Höchstspannungsebene einspeisen, und diese Zahl wird weiter steigen. Durch die Dekarbonisierung verlieren wir eine große Anzahl der erzeugenden Anlagen auf unserer Spannungsebene. Das bedeutet für uns als Übertragungsnetzbetreiber ein völlig neues Spiel, auf das wir uns heute schon einstellen.
Meinel: Und insofern ist es doch ein Paradigmenwechsel. Früher war es überhaupt nicht nötig, dass Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber miteinander über diese Fragen sprachen. Da wurde die Energie auf der Höchstspannungsebene bereitgestellt, die Kommunikation ging nur in eine Richtung. Die Energiewende macht es notwendig, dass die Kommunikation in beide Richtungen stattfindet. Und das Gute an DA/RE ist, dass diese Kommunikation in einer sehr zukunftsfähigen Weise erfolgt, die Rollen noch einmal definiert und daraus die Kommunikations- und Aktionsregeln erarbeitet werden.

Waren die Verteilnetznetzbetreiber von Anfang an begeistert von der Idee?
Götz: Was wir anstreben, ist ein partnerschaftlicher Dialog auf Augenhöhe, in dem es keinen Anspruch auf Vorherrschaft oder Datenhoheit gibt. Auch wo Rollen neu definiert werden, stellen wir bestehende Verantwortlichkeiten auf keinen Fall infrage. Und das kann möglichen Ängsten in diesem Veränderungsprozess vorbeugen.
Meinel: Sie fragten nach Begeisterung. Ich sage: ja. Es gibt ein hohes Interesse, an diesem Konzept mitzuwirken. Es gab sicherlich auch eine anfängliche Skepsis, aber ich glaube, die löst sich aktuell auf. Aus Sicht des zuständigen Fachministeriums ist es ein Glück, dass mit der Netze BW ein Partner dabei ist, der mit einem hohen Vertrauensvorschuss in diese Kooperation geht. Und im Lauf des Prozesses baut sich weiteres Vertrauen auf; es entsteht keine Wettbewerbssituation.

Nun ist ein sehr großer Verteilnetzbetreiber, der sich an DA/RE beteiligt, eine Konzernschwester der TransnetBW, nämlich die Netze BW, die Sie angesprochen haben. Zudem haben wir in Baden-Württemberg den Sonderfall, dass Bundesland und Versorgungsgebiet nahezu deckungsgleich sind. Begünstigt diese Konstellation das Projekt?
Meinel: Auf jeden Fall! Wir haben ja wirklich das Reallabor Baden-Württemberg, wo wir das ausprobieren können. Wenn es nur TransnetBW und Netze BW gäbe, wäre ein Projekt wie DA/RE eine einfache Sache. Aber in ihrer großen Vielzahl haben die Verteilnetzbetreiber die Sorge, dass ihnen die Daten, die sie für ihren eigenen Netzbetrieb brauchen, von den Übertragungsnetzbetreibern streitig gemacht werden könnten — gar nicht so sehr durch TransnetBW hier in Baden Württemberg, sondern insgesamt im Bundesgebiet. Das war anfänglich ein konfliktträchtiges Feld. Aber schon in den ersten Gesprächen bei uns im Ministerium hat sich herausgestellt, dass gerade TransnetBW ein Grundverständnis hat, das Verantwortung nicht teilt, sondern gemeinsam denkt. Auf dieser Grundlage können wir ein sehr gutes Modell aufbauen, das partnerschaftlich funktioniert. Ein Modell, das übrigens bundesweit von Verteilnetzbetreibern als mögliche Blaupause dafür gesehen wird, wie man den Grundkonflikt produktiv und partnerschaftlich lösen kann.

Wie gestaltet sich die Arbeit und Zusammenarbeit im Projekt „DA/RE“ konkret?
Meinel: Die ersten operativen Aufgaben müssen zunächst einmal im Modellprojekt von TransnetBW und Netze BW gemeinsam gelöst werden. Später sollen dann weitere Verteilnetzbetreiber hinzugenommen werden. Diese Erprobung der Zusammenarbeit und Kommunikation findet nicht als "Closed Shop" hinter verschlossenen Türen statt. Damit die anderen Verteilnetzbetreiber und die Verbände von Anfang an in "DA/RE" eingebunden sind, wurde ein Beirat eingerichtet. Dort werden nicht nur alle Fragen beantwortet. Der Beirat ist auch ein Forum, in dem noch nicht operativ beteiligte Teilnehmer ihr Know-how einbringen.
Götz: Dieser Beirat, den Ministerialdirektor Meinel übrigens leiten wird, ist aktuell besetzt durch alle Verteilnetzbetreiber der ersten Ebene in Baden-Württemberg plus Vertreter der Verbände. Ich glaube, das erste Ziel – nämlich: Wir schaffen Transparenz und Vertrauen – ist damit erreicht. Darüber hinaus haben wir ein Forum, das frühzeitig wertvollen Input geben und uns helfen kann, den einen oder anderen Problempunkt frühzeitig zu erkennen. Perspektivisch öffnet der Beirat das Projekt für alle. Wir wollten alle von Anfang an einbinden und mitnehmen. Denn gemeinsam sind wir am besten.

Gibt es einen konkreten Zeitplan?
Götz: Bereits 2019 wollen wir den konkreten Anwendungsfall in einer Pilotphase in Baden-Württemberg testen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden wir bis 2021 in praxisnahe Prozesse übersetzen.
Meinel: Wichtig ist in der operativen Phase: Der Übertragungsnetzbetreiber muss sehen können, was sich in den Verteilnetzen tut. Aber ebenso wichtig ist, dass der Übertragungsnetzbetreiber im Bedarfsfall Anforderungen stellt und nicht etwa schaltend eingreift und dem Verteilnetzbetreiber in sein Netz reindirigiert. Das ist essentiell für die Akzeptanz des Projektes. Unser Weg setzt auf Datentransparenz bei gleichzeitiger Verantwortungsautonomie in den einzelnen Bereichen.
Götz: Der einzelne Verteilnetzbetreiber kennt sein eigenes Netz besser als wir, kann etwaige Konfliktsituationen darin am besten einschätzen. Das gilt heute, das gilt auch morgen. Wir sind überzeugt, dass dieser Weg die besten Lösungen bringt.

Dieser Beitrag ist in der Winter-Ausgabe 2018 des Kundenmagazins 3239+ erschienen.