Projekt ReservebrückeLeistungssicherung für Baden-Württemberg

Die Energiewende kommt einem wichtigen Punkt immer näher: dem Ausstieg aus der Kohleverstromung. Dies bedeutet für Baden-Württemberg, dass immer mehr der vorhandenen Großkraftwerke stillgelegt werden. TransnetBW kann jedoch noch nicht komplett auf die gesicherte Leistung dieser Großkraftwerke verzichten: erneuerbare Energien, neue Gaskraftwerke und ein flexibles Energiesystem sowie ein ausgebautes Netz sind noch nicht ausreichend vorhanden, um die Systemsicherheit ohne diese Kraftwerke zu gewährleisten. Deshalb muss die Transformation des Energiesystems vorausschauend mit der Sicherung durch Reservekraftwerke begleitet werden.

Dies ist die Aufgabe des Projekts Reserverbrücke. Projektleiter Dr. Nils Seckinger hat uns erklärt, warum diese Brücke von der alten in die neue Energiewelt notwendig ist.

Bei der Netzreserve handelt es sich um Kraftwerksanlagen, die zwar nicht mehr am Strommarkt teilnehmen, aber immer bereitstehen müssen, um auf Anforderung des Übertragungsnetzbetreibers einspringen zu können. Sie stellt sicher, dass genügend Erzeugungsleistung für die Beseitigung von Engpässen oder anderen Problemen im Netz bereitsteht. Deshalb müssen Reservekraftwerke in ausreichender Zahl vorhanden sein und an den richtigen Stellen im Netz liegen.

Kraftwerke bleiben länger am Netz

Viele der heute genutzten Reservekraftwerke sollten ursprünglich schon vor Jahren endgültig stillgelegt werden. Doch die Energiewende bringt das Stromnetz an seine Grenzen und weil neue, flexible Kraftwerke noch im Bau oder in Planung sind, müssen einige der alten Blöcke länger am Netz bleiben – teilweise bis 2031 und gegebenenfalls darüber hinaus.

Das stellt die Branche vor neue Herausforderungen: Ersatzteile für alte Anlagen werden knapp, qualifiziertes Personal ist schwer zu finden und auszubilden oder bereits im Ruhestand, und der gesetzliche Rahmen erlaubt oft keine pragmatischen Lösungen. „Ein Kraftwerk kann man nicht einfach beliebig an- und ausknipsen“, sagt Nils Seckinger, Projektleiter der Reservebrücke. „Hinter jeder Anlage stehen Menschen, vorausgeplante Prozesse und jahrelange Erfahrung.“

Kurz gesagt: Deutschlands Reserve­kraftwerke sind technisch überaltert, teuer im Erhalt, und deren Betreiber sind auf Planungssicherheit angewiesen. Gleichzeitig verzögert sich der Neubau moderner, steuerbarer Kraftwerke. Dadurch steigt die Bedeutung – und zugleich die Problematik – der bestehenden Reservekraftwerke.

„Wir können die alten Kraftwerke nicht abschalten, solange es noch keinen verlässlichen Ersatz gibt“, sagt Nils Seckinger. „Unser Ziel ist, dass in Baden-Württemberg das Netz weiter sicher betrieben werden kann, bis genug neue Kraftwerke und Speicher da sind und die Stromnetze weiter ausgebaut wurden.“  

Das Projekt Reservebrücke geht diese Aufgabe aus der Perspektive eines Übertragungsnetzbetreibers an: Das TransnetBW-Projektteam um Nils Seckinger hat sich im Rahmen der Reservebrücke zum Ziel gesetzt, die Regeln und Rahmenbedingungen für die Kraftwerksbetreiber so weiterzuentwickeln, dass diese die Betriebsbereitschaft der Kraftwerke sicherstellen und verbessern können.  

Dr. Nils Seckinger
Dr. Nils Seckinger

Energie auf Abruf

Diese Reserveanlagen werden mit fossilen Energieträgern betrieben. Sie bieten aktuell einen entscheidenden Vorteil: Die Brennstoffe können gelagert werden und die Leistungsabgabe der Kohle- und Gaskraftwerke ist über mehrere Stunden zuverlässig steuerbar. Dies ist allerdings nur wenige Stunden im Jahr notwendig, womit schädliche Emissionen gering sind.

Logistik und Versorgungssicherheit

Perspektivisch wird die Netzreserve zum einzigen Kohleverbrenner in Baden-Württemberg. TransnetBW arbeitet deswegen gemeinsam mit den Betreibern an vorausschauenden Logistikketten, Zwischenlagern und Notfallplänen. Dabei geht es nicht um die Förderung oder den Ausbau von Kohleverstromung, sondern um technische Vorsorge, solange noch keine vollwertigen Alternativen bereitstehen.  

Die Herausforderung: Die Logistikstrategie der Betreiber muss so geplant sein, dass keine Gefahr für die Netzstabilität aufgrund zu wenig fossiler Energieträger besteht – und das in einer Zeit, in der fossile Energieträger wie Steinkohle immer weniger zur Verfügung stehen. Gleichzeitig darf sie die Netzentgelte nicht mit einem zu großen Lager- und Logistikapparat belasten.

„Niemand möchte die Kohlekraftwerke länger in der Netzreserve vorhalten als unbedingt nötig“, betont Nils Seckinger. „Aber solange wir sie für die Netzstabilität brauchen, müssen sie funktionieren – und das zuverlässig.“

Lebenszyklus eines konventionellen Kraftwerks

Die „Badewannen-Kurve“ zeigt die Ausfallrate eines Kraftwerks im Laufe seines Lebens.

In der Phase kurz nach Fertigstellung haben Kraftwerke eine höhere Ausfallquote – gewissermaßen noch Kinderkrankheiten.

 

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Im Zuge der kommerziellen Inbetriebnahme wird das Kraftwerk nachoptimiert.

Über 30 bis 40 Jahre läuft der Betrieb planmäßig mit geringer Ausfallrate.

Nach vielen Betriebsjahren steigt die Ausfallrate. Viele Geräte sind am Ende ihres Lebenszyklus, die Ersatzteilversorgung wird schwieriger.

Das Kraftwerk kann durch den Übertragungsnetzbetreiber als systemrelevantes Reservekraftwerk eingestuft werden. Manche Kraftwerke müssen dadurch über das Ende der technischen Lebensdauer in Betrieb bleiben. Aufgrund seines Alters bleibt die Ausfallrate des Kraftwerks hoch – trotz Ertüchtigungsmaßnahmen.

Beispielhafter Alt-Text
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Logistik im Stresstest

Ein Beispiel für die Bedeutung robuster Logistikketten war der Unfall an einer Moselschleuse im Dezember 2024. Durch eine Havarie kam der Schiffsverkehr vollständig zum Erliegen. Ein kritischer Moment, denn in dieser Phase herrschte eine angespannte Netzsituation: wechselnde Windfronten, Dunkelflauten und hohe Redispatch-Anforderungen. Der Kohlebedarf der Markt- als auch der Reservekraftwerke lag über der Erwartung, gleichzeitig sanken die Lagerbestände spürbar. Weil große Kohleabnehmer ihre Lieferungen plötzlich auf die Schiene umleiten mussten, stiegen die Transportpreise für die Kraftwerksbetreiber stark an. 

Genau in dieser Situation zeigte sich der Wert der vorausschauenden Planung: Durch bereits im Sommer garantierte und preislich fixierte Kapazitätsbuchungen sowie durch strategische Zwischenlager konnten die Reservekraftwerke in Baden-Württemberg weiter zuverlässig mit Brennstoff versorgt werden. Die Netzreserve blieb einsatzbereit, trotz gesperrter Wasserstraße und erschwerter Marktbedingungen. Dieses Ereignis unterstreicht, wie wichtig eine breit abgesicherte, flexible Logistikstrategie für die Versorgung der Netzreservekraftwerke ist.

„Wir sind die Übersetzer zwischen den Kraftwerksbetreibern und der Bundesnetzagentur, die auf regulatorischer Ebene steuern“, beschreibt Nils Seckinger. „Nur wenn beide Seiten sich verstehen, funktionieren die Reserven für die Netzsicherheit.“

Zwischen Technik, Markt und Regulierung

Das Projektteam fungiert auch als Bindeglied zwischen verschiedenen Institutionen der Energiewirtschaft. Auf der einen Seite stehen die Kraftwerksbetreiber, die in technischen Parametern, Wartungszyklen, Sicherheitsauflagen und betriebswirtschaftlich denken. Auf der anderen Seite steht die Bundesnetzagentur, die das Stromsystem über gesetzliche Vorgaben und Verordnungen steuert, damit Netzbetreiber auch in der Energiewende die Netzsicherheit kosteneffizient gewährleisten können.

Nils Seckinger und sein Team sorgen dafür, dass aus diesen beiden Perspektiven ein gemeinsames Vorgehen entsteht: Wie können gesetzliche Anforderungen an die Reserven so umgesetzt werden, dass sie dauerhaft im Kraftwerksbetrieb realistisch und verlässlich für die Netzsicherheit funktionieren? Und wie lassen sich technische Notwendigkeiten in eine Regulierung übersetzen, die effizient, transparent und zukunftsfähig ist?

Großer Bedarf nach Netzreserve

Schon heute übersteigt der Bedarf an Netzreserve in Deutschland das verfügbare Angebot. Etwa sechseinhalb Gigawatt wären aktuell nötig, durch Einschränkungen in der Verfügbarkeit stehen aber nicht alle Blöcke vollumfänglich bereit. Die fehlende Leistung müssen die Übertragungsnetzbetreiber im Ausland sichern, etwa in der Schweiz, in Österreich, Frankreich und Italien. Aktuell sind alle Netzreserveanlagen in der Regelzone der TBW bis 2031 als systemrelevant ausgewiesen. Mit den aktuellen energiewirtschaftlichen und -politischen Entwicklungen könnten wir die Anlagen auch noch etwas darüber hinaus benötigen. Für Nils Seckinger ist das ein klares Signal, weiter vorausschauend zu handeln:

„Wenn wir in fünf Jahren feststellen, dass wir bestimmte Maßnahmen zu spät angegangen sind, ist es zu spät. Die fehlende Kraftwerksleistung für die Netzsicherheit schmerzt dann TransnetBW. Unsere Aufgabe ist, diese Brücke so lange wie notwendig zu erhalten.“

Dr. Nils Seckinger, Projektleiter Reservebrücke

Das Projekt Reservebrücke ist ein enorm wichtiges Puzzlestück der Energiewende. Die Kraftwerksreserven auf Abruf halten das Netz stabil, während Baden-Württemberg und Deutschland Schritt für Schritt die fossile Erzeugung verlassen.

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