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Das Netz von morgen. Unser Blick auf die Energiewende - jetzt digital.

Willkommen zur neuen Ausgabe von 3239+

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie zuverlässig ist unsere Stromversorgung? Eine wichtige Kennzahl dafür ist der System Average Interruption Duration Index (SAIDI): Er gibt an, wie viele Minuten im Jahr ein Haushalt im Durchschnitt ohne Strom ist. 2024 lag dieser Wert in Deutschland bei nur 11,7 Minuten. Auf Ebene der Übertragungsnetze, also bei TransnetBW und den anderen Übertragungsnetzbetreibern, beträgt der SAIDI 0 Minuten – ein Jahr lang kein Ausfall!

Unsere Netze funktionieren, selbst bei Kälte oder Hitze, Sturm oder Flaute. Was hinter dieser Stabilität steckt und wie wir die Versorgungsqualität weiterhin sichern, beleuchten wir in dieser Ausgabe. 

Versorgungssicherheit ist kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis vorausschauender Planung, flexibler Technologien und europäischer Zusammenarbeit. Dafür stehen wir – heute, morgen und in Zukunft.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre! 

Ihr Redaktionsteam

01

DunkelflautenWenn Sonne und Wind nicht verfügbar sind

Solarpark im Winter

Ein dunkelgrauer Wintertag: Der Himmel wolkenverhangen, Solaranlagen liefern kaum Energie. Dazu weht kein Wind, Windräder stehen still. Was bedeutet das für unser Stromnetz?

Die sogenannte Dunkelflaute ist ein seltenes, aber ernst zu nehmendes Phänomen. Insbesondere in einem Stromsystem, das im Zuge der Energiewende zunehmend auf erneuerbare Energien wie Wind und Sonne setzt. Doch obwohl der Begriff dramatisch klingt, funktioniert das Netz auch in solchen Situationen stabil.

Dunkelflauten entstehen durch spezielle Wetterlagen, in denen kaum Wind weht und gleichzeitig die Sonne kaum scheint. Häufig treten diese Situationen in den Wintermonaten auf, wenn sich stabile Hochdruckgebiete über Mitteleuropa legen. Diese sogenannten antizyklonalen Wetterlagen sorgen für gleichmäßige Bewölkung und Windstille – und halten mitunter mehrere Tage an. In solchen Phasen liefern Windkraft- und Photovoltaikanlagen nur einen Bruchteil ihrer üblichen Leistung. Weil Wind und Sonne heute den Großteil der erneuerbaren Stromerzeugung ausmachen, sinkt ihr Anteil im Strommix während einer Dunkelflaute stark.

Trotz dieser Rückgänge bleibt die Stromversorgung in Deutschland gesichert. Das liegt daran, dass unser Energiesystem nicht nur auf Sonne und Wind angewiesen ist. Weitere Energiequellen wie Biomasse, Wasserkraft oder Gaskraftwerke stehen bereit, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen. Auch die Möglichkeit, Strom aus anderen europäischen Ländern zu importieren, trägt zur Stabilität bei. Das Stromnetz wird dabei vorausschauend gesteuert und über alle zeitlichen Ebenen hinweg geplant: von der langfristigen Jahresvorausschau bis zur Echtzeitsteuerung. In Kombination mit flexiblen Verbrauchslösungen, etwa durch intelligente Lastverschiebung im Gewerbe oder privaten Bereich, entstehen zahlreiche Spielräume, um auch längere Erzeugungspausen zu überbrücken.

Dunkelflauten sind dabei kein neues Phänomen. In einem durchschnittlichen Winter kommt es zwei- bis viermal zu solchen Situationen, in denen Wind und Sonne für mehrere Tage ausbleiben. Besonders kritisch wird es, wenn eine solche Wetterlage mit einer Kälteperiode zusammenfällt. Dann steigt der Stromverbrauch deutlich, zum Beispiel durch den Heizbedarf oder durch zusätzlichen Energieeinsatz in der Industrie. Das System steht in solchen Momenten unter Spannung, bleibt aber durch vorausschauende Planung und den Einsatz mehrerer Energiequellen stabil.

Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen einer Dunkelflaute und einer Strommangellage. Eine Dunkelflaute beschreibt ausschließlich die wetterbedingte geringe Einspeisung aus erneuerbaren Quellen. Das bedeutet nicht automatisch, dass zu wenig Strom vorhanden ist, um die Nachfrage zu decken. Erst wenn weitere Faktoren wie eine überlastete Infrastruktur, fehlende Speicher oder sehr hohe Verbrauchsspitzen hinzukommen, könnten Engpässe entstehen. In Deutschland ist das bislang nicht vorgekommen. Selbst bei mehreren Tagen ohne Sonne und Wind blieb das Stromnetz stabil und die Versorgung gesichert.

Dunkelflauten sind kein Risiko für die Versorgungssicherheit. Sie zeigen, wie gut vorbereitet unsere Infrastruktur bereits ist und welche Rolle Koordination, technologische Vielfalt und Netzintelligenz für die Energiewende spielen. Mit dem weiteren Ausbau von Speichern, smarter Verbrauchssteuerung und internationaler Zusammenarbeit wird das Netz auch künftig jeder Wetterlage standhalten.

Was eine Dunkelflaute am Strommarkt auslöst

Dunkelflauten betreffen nicht nur die physikalische Stromversorgung, sondern wirken sich auch direkt auf den Strommarkt aus. Wenn sowohl Wind als auch Sonne zeitgleich kaum zur Stromerzeugung beitragen, fehlen im System die günstigsten Energiequellen. Diese Lücke füllen in der Regel Gaskraftwerke. Diese übernehmen in solchen Situationen die Versorgung und bestimmen damit das Preisniveau an der Strombörse.

Im Markt bedeutet das: Die preissetzende Technologie ist in solchen Phasen nicht erneuerbar, sondern fossil und damit deutlich teurer. Die Folge sind teils spürbare Preisspitzen, vor allem dann, wenn die Dunkelflaute mit hoher Stromnachfrage zusammentrifft, etwa in den Abendstunden eines kalten Wintertags.

Diese Entwicklungen sind kein Ausnahmefall, sondern ein typisches Marktverhalten unter Knappheitsbedingungen. Das Preisniveau steigt, weil günstige Erzeugungskapazitäten nicht verfügbar sind. Ein klarer wirtschaftlicher Effekt der Dunkelflaute. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen kann das je nach Tarifmodell höhere Kosten bedeuten, insbesondere bei börsengekoppelten Strompreisen.

Langfristig zeigt sich: Um die Auswirkungen solcher Phasen abzufedern, braucht es einen Mix aus mehr Flexibilität im System, einer breiteren Erzeugungsbasis und einem funktionierenden europäischen Strombinnenmarkt. Denn je besser Strom aus unterschiedlichen Quellen und Regionen eingespeist und gehandelt werden kann, desto stabiler bleiben sowohl Netz als auch Preise. Auch dann, wenn der Himmel für einige Tage grau bleibt.

So reagiert das Stromsystem

02

Projekt ReservebrückeLeistungssicherung für Baden-Württemberg

Die Energiewende kommt einem wichtigen Punkt immer näher: dem Ausstieg aus der Kohleverstromung. Dies bedeutet für Baden-Württemberg, dass immer mehr der vorhandenen Großkraftwerke stillgelegt werden. TransnetBW kann jedoch noch nicht komplett auf die gesicherte Leistung dieser Großkraftwerke verzichten: erneuerbare Energien, neue Gaskraftwerke und ein flexibles Energiesystem sowie ein ausgebautes Netz sind noch nicht ausreichend vorhanden, um die Systemsicherheit ohne diese Kraftwerke zu gewährleisten. Deshalb muss die Transformation des Energiesystems vorausschauend mit der Sicherung durch Reservekraftwerke begleitet werden.

Dies ist die Aufgabe des Projekts Reserverbrücke. Projektleiter Dr. Nils Seckinger hat uns erklärt, warum diese Brücke von der alten in die neue Energiewelt notwendig ist.

Bei der Netzreserve handelt es sich um Kraftwerksanlagen, die zwar nicht mehr am Strommarkt teilnehmen, aber immer bereitstehen müssen, um auf Anforderung des Übertragungsnetzbetreibers einspringen zu können. Sie stellt sicher, dass genügend Erzeugungsleistung für die Beseitigung von Engpässen oder anderen Problemen im Netz bereitsteht. Deshalb müssen Reservekraftwerke in ausreichender Zahl vorhanden sein und an den richtigen Stellen im Netz liegen.

Kraftwerke bleiben länger am Netz

Viele der heute genutzten Reservekraftwerke sollten ursprünglich schon vor Jahren endgültig stillgelegt werden. Doch die Energiewende bringt das Stromnetz an seine Grenzen und weil neue, flexible Kraftwerke noch im Bau oder in Planung sind, müssen einige der alten Blöcke länger am Netz bleiben – teilweise bis 2031 und gegebenenfalls darüber hinaus.

Das stellt die Branche vor neue Herausforderungen: Ersatzteile für alte Anlagen werden knapp, qualifiziertes Personal ist schwer zu finden und auszubilden oder bereits im Ruhestand, und der gesetzliche Rahmen erlaubt oft keine pragmatischen Lösungen. „Ein Kraftwerk kann man nicht einfach beliebig an- und ausknipsen“, sagt Nils Seckinger, Projektleiter der Reservebrücke. „Hinter jeder Anlage stehen Menschen, vorausgeplante Prozesse und jahrelange Erfahrung.“

Kurz gesagt: Deutschlands Reserve­kraftwerke sind technisch überaltert, teuer im Erhalt, und deren Betreiber sind auf Planungssicherheit angewiesen. Gleichzeitig verzögert sich der Neubau moderner, steuerbarer Kraftwerke. Dadurch steigt die Bedeutung – und zugleich die Problematik – der bestehenden Reservekraftwerke.

„Wir können die alten Kraftwerke nicht abschalten, solange es noch keinen verlässlichen Ersatz gibt“, sagt Nils Seckinger. „Unser Ziel ist, dass in Baden-Württemberg das Netz weiter sicher betrieben werden kann, bis genug neue Kraftwerke und Speicher da sind und die Stromnetze weiter ausgebaut wurden.“  

Das Projekt Reservebrücke geht diese Aufgabe aus der Perspektive eines Übertragungsnetzbetreibers an: Das TransnetBW-Projektteam um Nils Seckinger hat sich im Rahmen der Reservebrücke zum Ziel gesetzt, die Regeln und Rahmenbedingungen für die Kraftwerksbetreiber so weiterzuentwickeln, dass diese die Betriebsbereitschaft der Kraftwerke sicherstellen und verbessern können.  

Dr. Nils Seckinger
Dr. Nils Seckinger

Energie auf Abruf

Diese Reserveanlagen werden mit fossilen Energieträgern betrieben. Sie bieten aktuell einen entscheidenden Vorteil: Die Brennstoffe können gelagert werden und die Leistungsabgabe der Kohle- und Gaskraftwerke ist über mehrere Stunden zuverlässig steuerbar. Dies ist allerdings nur wenige Stunden im Jahr notwendig, womit schädliche Emissionen gering sind.

Logistik und Versorgungssicherheit

Perspektivisch wird die Netzreserve zum einzigen Kohleverbrenner in Baden-Württemberg. TransnetBW arbeitet deswegen gemeinsam mit den Betreibern an vorausschauenden Logistikketten, Zwischenlagern und Notfallplänen. Dabei geht es nicht um die Förderung oder den Ausbau von Kohleverstromung, sondern um technische Vorsorge, solange noch keine vollwertigen Alternativen bereitstehen.  

Die Herausforderung: Die Logistikstrategie der Betreiber muss so geplant sein, dass keine Gefahr für die Netzstabilität aufgrund zu wenig fossiler Energieträger besteht – und das in einer Zeit, in der fossile Energieträger wie Steinkohle immer weniger zur Verfügung stehen. Gleichzeitig darf sie die Netzentgelte nicht mit einem zu großen Lager- und Logistikapparat belasten.

„Niemand möchte die Kohlekraftwerke länger in der Netzreserve vorhalten als unbedingt nötig“, betont Nils Seckinger. „Aber solange wir sie für die Netzstabilität brauchen, müssen sie funktionieren – und das zuverlässig.“

Lebenszyklus eines konventionellen Kraftwerks

Die „Badewannen-Kurve“ zeigt die Ausfallrate eines Kraftwerks im Laufe seines Lebens.

In der Phase kurz nach Fertigstellung haben Kraftwerke eine höhere Ausfallquote – gewissermaßen noch Kinderkrankheiten.

 

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Im Zuge der kommerziellen Inbetriebnahme wird das Kraftwerk nachoptimiert.

Über 30 bis 40 Jahre läuft der Betrieb planmäßig mit geringer Ausfallrate.

Nach vielen Betriebsjahren steigt die Ausfallrate. Viele Geräte sind am Ende ihres Lebenszyklus, die Ersatzteilversorgung wird schwieriger.

Das Kraftwerk kann durch den Übertragungsnetzbetreiber als systemrelevantes Reservekraftwerk eingestuft werden. Manche Kraftwerke müssen dadurch über das Ende der technischen Lebensdauer in Betrieb bleiben. Aufgrund seines Alters bleibt die Ausfallrate des Kraftwerks hoch – trotz Ertüchtigungsmaßnahmen.

Beispielhafter Alt-Text
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Logistik im Stresstest

Ein Beispiel für die Bedeutung robuster Logistikketten war der Unfall an einer Moselschleuse im Dezember 2024. Durch eine Havarie kam der Schiffsverkehr vollständig zum Erliegen. Ein kritischer Moment, denn in dieser Phase herrschte eine angespannte Netzsituation: wechselnde Windfronten, Dunkelflauten und hohe Redispatch-Anforderungen. Der Kohlebedarf der Markt- als auch der Reservekraftwerke lag über der Erwartung, gleichzeitig sanken die Lagerbestände spürbar. Weil große Kohleabnehmer ihre Lieferungen plötzlich auf die Schiene umleiten mussten, stiegen die Transportpreise für die Kraftwerksbetreiber stark an. 

Genau in dieser Situation zeigte sich der Wert der vorausschauenden Planung: Durch bereits im Sommer garantierte und preislich fixierte Kapazitätsbuchungen sowie durch strategische Zwischenlager konnten die Reservekraftwerke in Baden-Württemberg weiter zuverlässig mit Brennstoff versorgt werden. Die Netzreserve blieb einsatzbereit, trotz gesperrter Wasserstraße und erschwerter Marktbedingungen. Dieses Ereignis unterstreicht, wie wichtig eine breit abgesicherte, flexible Logistikstrategie für die Versorgung der Netzreservekraftwerke ist.

„Wir sind die Übersetzer zwischen den Kraftwerksbetreibern und der Bundesnetzagentur, die auf regulatorischer Ebene steuern“, beschreibt Nils Seckinger. „Nur wenn beide Seiten sich verstehen, funktionieren die Reserven für die Netzsicherheit.“

Zwischen Technik, Markt und Regulierung

Das Projektteam fungiert auch als Bindeglied zwischen verschiedenen Institutionen der Energiewirtschaft. Auf der einen Seite stehen die Kraftwerksbetreiber, die in technischen Parametern, Wartungszyklen, Sicherheitsauflagen und betriebswirtschaftlich denken. Auf der anderen Seite steht die Bundesnetzagentur, die das Stromsystem über gesetzliche Vorgaben und Verordnungen steuert, damit Netzbetreiber auch in der Energiewende die Netzsicherheit kosteneffizient gewährleisten können.

Nils Seckinger und sein Team sorgen dafür, dass aus diesen beiden Perspektiven ein gemeinsames Vorgehen entsteht: Wie können gesetzliche Anforderungen an die Reserven so umgesetzt werden, dass sie dauerhaft im Kraftwerksbetrieb realistisch und verlässlich für die Netzsicherheit funktionieren? Und wie lassen sich technische Notwendigkeiten in eine Regulierung übersetzen, die effizient, transparent und zukunftsfähig ist?

Großer Bedarf nach Netzreserve

Schon heute übersteigt der Bedarf an Netzreserve in Deutschland das verfügbare Angebot. Etwa sechseinhalb Gigawatt wären aktuell nötig, durch Einschränkungen in der Verfügbarkeit stehen aber nicht alle Blöcke vollumfänglich bereit. Die fehlende Leistung müssen die Übertragungsnetzbetreiber im Ausland sichern, etwa in der Schweiz, in Österreich, Frankreich und Italien. Aktuell sind alle Netzreserveanlagen in der Regelzone der TBW bis 2031 als systemrelevant ausgewiesen. Mit den aktuellen energiewirtschaftlichen und -politischen Entwicklungen könnten wir die Anlagen auch noch etwas darüber hinaus benötigen. Für Nils Seckinger ist das ein klares Signal, weiter vorausschauend zu handeln:

„Wenn wir in fünf Jahren feststellen, dass wir bestimmte Maßnahmen zu spät angegangen sind, ist es zu spät. Die fehlende Kraftwerksleistung für die Netzsicherheit schmerzt dann TransnetBW. Unsere Aufgabe ist, diese Brücke so lange wie notwendig zu erhalten.“

Dr. Nils Seckinger, Projektleiter Reservebrücke

Das Projekt Reservebrücke ist ein enorm wichtiges Puzzlestück der Energiewende. Die Kraftwerksreserven auf Abruf halten das Netz stabil, während Baden-Württemberg und Deutschland Schritt für Schritt die fossile Erzeugung verlassen.

„Wir sind davon überzeugt, dass sich jede Investition in ein klimaneutrales Energiesystem lohnt, denn wir glauben an die Zukunft eines lebenswerten Planeten Erde.“

Geschäftsführung TransnetBW

03

Selbst erklärt: Systemstabilität„Sicherstellen, dass die Maschine stabil bleibt“

Mirjam König leitet bei TransnetBW das Team Systemstabilität. Diese Abteilung analysiert, wie das Energiesystem auf Störungen reagiert, tauscht sich deutschlandweit dazu aus und leitet Maßnahmen für die Zukunft ab. Im Interview spricht sie über den Systemumbau „im Flugbetrieb“, neue Akteure wie Elektrolyseure und KI-Rechenzentren sowie die zentralen Erkenntnisse aus dem Systemstabilitätsbericht.

Mirjam, du leitest das Team Systemstabilität bei TransnetBW. Was macht ihr genau?

In meinem Team geht es speziell um dynamische Netzanalysen. Wir schauen – bildlich gesprochen – mit einer Glaskugel in die Zukunft. Unsere Glaskugel ist eine komplexe Simulationssoftware, in der das gesamte europäische Stromnetz abgebildet ist. Damit können wir Szenarien durchspielen: Wie verhält sich das Netz im Jahr 2030? Was passiert, wenn irgendwo eine Leitung ausfällt oder die Spannung plötzlich einbricht?

Unser Ziel ist, das Netz so zu gestalten, dass es sich nach Störungen selbst stabilisiert. Wenn wir feststellen, dass das nicht gelingt, entwickeln wir Maßnahmen. Das können neue Technik sein oder angepasste Regeln.

Mirjam König
Mirjam König

Ihr arbeitet mit einem digitalen Abbild des gesamten Netzes?

Genau. Wir simulieren dynamische Vorgänge, also das, was im Sekunden- oder Millisekundenbereich passiert. Früher haben große Kraftwerke solche Störungen automatisch ausgeglichen. Jetzt, da immer mehr erneuerbare Anlagen am Netz sind, müssen auch sie solche Fähigkeiten übernehmen. Das ist eine enorme Veränderung.

Stichwort Energiewende: Wie würdest du eure Rolle dabei beschreiben?

Energiewende bedeutet ja, dass wir die konventionellen Kraftwerke abschalten und stattdessen Erneuerbare integrieren. Das passiert, während das System weiterläuft. Ich sage oft: Wir bauen das Flugzeug während des Flugs um. Das europäische Stromnetz ist die größte Anlage des Kontinents Europa, und es wird im laufenden Betrieb umgebaut. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass diese Maschine stabil bleibt. Während sich ihr Inneres komplett verändert.

Inwiefern verändert die Energiewende auch die Akteure im Netz?

Neben klassischen Erzeugern kommen neue Beteiligte hinzu: große Batteriespeicher, Wasserstoff-Elektrolyseure, Rechenzentren, perspektivisch auch viele Wärmepumpen. Die werden einen Lastverlauf haben, den wir noch nie gesehen haben. All diese Anlagen greifen ins System ein und sie müssen sich netzdienlich verhalten.

Deshalb überarbeiten wir derzeit die technischen Anschlussregeln für Erzeuger, Speicher und Großverbraucher. Wer sich ans Netz anschließen will, bekommt klare Vorgaben, welche Eigenschaften seine Anlage haben muss. Dazu gehören heute Stabilitätsfunktionen, die früher selbstverständlich waren.

KI-Rechenzentren sind neu. Wie wirken sie sich auf das Stromnetz aus?

Das ist tatsächlich ein neues Thema, das wir bisher in dieser Form noch gar nicht kannten. Künstliche Intelligenz braucht beim Rechnen enorme Mengen an Energie – und das nicht gleichmäßig, sondern in kurzen, sehr intensiven Phasen. Während der Berechnung steigt der Stromverbrauch extrem an, danach fällt er fast schlagartig wieder ab, wenn die Systeme den Output generieren.

Das führt zu gewaltigen Lastspitzen. Bei kleinen Rechenzentren spielt das kaum eine Rolle, aber wenn wir über Anlagen reden, die die Leistung von mehreren Kraftwerken benötigen, sprechen wir von Schwankungen im Gigawatt-Bereich. Wenn ein KI-Rechenzentrum auf einen Schlag ein Gigawatt Leistung zieht und kurz darauf wieder abfällt, dann sind das Schwankungen, die das Netz stark fordern.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Bereich Systemstabilität?

Systemstabilität ist keine Einzeldisziplin. Wir arbeiten eng mit den anderen Übertragungsnetzbetreibern, mit Verteilnetzbetreibern, Herstellern und Forschungseinrichtungen zusammen. Besonders wichtig ist die Roadmap Systemstabilität, die das Bundeswirtschaftsministerium initiiert hat. Dort sitzen regelmäßig Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen an einem Tisch: Industrie, Netzbetreiber, Wissenschaft und Politik. Wir entwickeln gemeinsam Prozesse und Maßnahmen, damit das Energiesystem stabil bleibt.

„Es ist wichtig, dass man wirklich alle zusammen an einen Tisch holt und das Ganze zusammen neu denkt. Es müssen alle mitmachen.“

Mirjam König, Teamleiterin Asset Management Systemstabilität

Du leitest auch eine bundesweite Steuerungsgruppe zu Systemplanung und Systemführung. Was genau bedeutet das?

Ich bin Leiterin von einer Steuerungsgruppe in Deutschland, die sich unter anderem mit dem Thema Systemstabilität beschäftigt, ein Zusammenschluss zwischen der Netzplanung und der Systemführung. Wir steuern die Arbeit am Systemstabilitätsbericht und stimmen uns übergreifend zu den Themen der Roadmap Systemstabilität ab.

Das ist auch eine kommunikative Aufgabe: Wir bringen die unterschiedlichen Perspektiven zusammen, von der Forschung bis zu den Netzbetreibern. Mir ist wichtig, dass wir über Hierarchie- und Unternehmensgrenzen hinweg ein gemeinsames Verständnis schaffen. Nur so können wir die notwendigen Maßnahmen wirklich umsetzen.

Welche Themen und Herausforderungen hebt ihr im Systemstabilitätsbericht heraus?

Ein zentraler Punkt ist ganz klar das Thema Gridforming: die Fähigkeit von Anlagen, das Netz aktiv zu stützen und zu formen. Früher haben das automatisch die großen konventionellen Kraftwerke übernommen. Sie gaben dem Netz über ihre rotierenden Massen Stabilität und eine feste Frequenz vor.

Wenn wir heute sagen, dass Erneuerbare netzbildend (grid-forming) werden müssen, heißt das: Windparks, Solaranlagen oder auch Batteriespeicher sollen künftig genau diese Rolle übernehmen können. Sie müssen nicht nur Energie einspeisen, sondern dem Netz im Fehlerfall Halt geben.

Ein weiteres wichtiges Thema sind Elektrolyseure. Sie gelten als Schlüsseltechnologie für Wasserstoff, aber sie sind gleichzeitig große elektrische Verbraucher. Auch sie müssen sich netzdienlich verhalten. Also so gesteuert werden, dass sie nicht zusätzlich Schwankungen verstärken, sondern im besten Fall sogar zur Stabilität beitragen.

Eine große Rolle spielt auch die Momentanreserve – Trägheitsersatz zur Abfederung schneller Frequenzänderungen. In klassischen Kraftwerken entsteht sie ganz natürlich durch Schwungmassen, also durch physische Trägheit der Turbinen, die kurzfristig Energie abgeben, wenn sich die Netzfrequenz ändert. Diese Eigenschaft geht uns verloren, wenn wir auf leistungselektronische Anlagen umsteigen. Deshalb müssen wir neue Wege finden, diese Reserve bereitzustellen, etwa durch Batteriespeicher oder andere netzbildende Systeme.

Schließlich sehen wir zunehmende Prognoseunsicherheiten. Wenn etwa die Sonne stärker scheint oder plötzlich Gewitter aufziehen, kann die Einspeiseleistung in Sekundenbruchteilen einbrechen oder ansteigen. Diese Dynamik ist für das Netz eine Herausforderung. Je mehr Erneuerbare einspeisen, desto wichtiger wird es, solche Schwankungen schnell ausgleichen zu können, technisch wie organisatorisch.

Wie sind die Reaktionen auf den Systemstabilitätsbericht?

Ich würde sagen, dass das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur hinter dem Stabilitätsbericht stehen und befürworten, dass die Maßnahmen aufgrund ihrer Dringlichkeit angegangen werden.

Wie blickst du persönlich auf die Entwicklungen in deinem Feld?

Ich bin optimistisch. Die Politik unterstützt das Thema Systemstabilität sehr stark, und es ist allen bewusst, dass wir hier über die Grundlage der Energiewende sprechen. Wichtig ist, dass wir es gemeinsam denken, über alle Netzebenen hinweg.

Beim TransnetBW-Zukunftstag 2025 sprach Mirjam König darüber, was Zukunftsfähigkeit für sie und ihren Bereich bedeutet.

TransnetBW ist der Übertragungsnetz­betreiber für Baden-Württemberg.

 Wir gestalten das Netz der Zukunft und transportieren Energie über Landesgrenzen hinweg.

 Wir arbeiten für die stabile und zuverlässige Stromversorgung und tragen damit entscheidend zur Wirtschaftskraft und Lebensqualität im Südwesten Deutschlands bei.

Unsere Mission

04

Zukunftsstudie Adequacy 2050Robust, flexibel und europäisch vernetzt 

Nachtaufnahme Erde Südeuropa

Im großen Interview ordnen unsere Experten Dr. Massimo Moser und Georgios Savvidis aus der strategischen Netzplanung von TransnetBW die Ergebnisse der Studie Adequacy 2050 ein.

Massimo und Georgios: Ihr arbeitet bei der strategischen Netzplanung bei TransnetBW. Was sind die Aufgaben dieses Bereichs?

Massimo Moser: Unsere Arbeit lässt sich in zwei große Bereiche gliedern. Erstens geht es darum, die Voraussetzungen für einen stabilen Betrieb des Übertragungsnetzes im laufenden Alltag zu schaffen. Zweitens planen wir vorausschauend, wie das Stromnetz der Zukunft aussehen muss, damit es die Energiewende und den Ausstieg aus fossilen Energieträgern tragen kann.

Dazu haben wir einen klaren gesetzlichen Rahmen: Wir sind verpflichtet, die Entwicklung des Netzes technisch und wirtschaftlich optimal zu planen. Das geschieht regelmäßig im Netzentwicklungsplan (NEP), der alle zwei Jahre veröffentlicht wird. Daneben gibt es auf europäischer Ebene Prozesse wie den Ten-Year Network Development Plan.

Neben diesen gesetzlich geregelten Aufgaben erstellen wir strategische Studien aus eigener Initiative. Also freiwillige Analysen, die über die Pflicht hinausgehen. Sie dienen dazu, frühzeitig zu erkennen, wo künftige Herausforderungen liegen könnten. Beispiele sind die Studien Stromnetz 2050, Energy System 2050 und Adequacy 2050. Dort greifen wir Themen auf, die in den regulären Planungsprozessen oft zu kurz kommen, etwa langfristige Wetterveränderungen, Sektorenkopplung oder Flexibilitätsfragen.

Was war der Anlass für die Studie Adequacy 2050?

Massimo Moser: Wir wollten verstehen, wie ein klimaneutrales Energiesystem unter allen Bedingungen zuverlässig funktionieren kann. Bisherige europäische und nationale Analysen untersuchen meist nur Zeiträume bis Mitte der 2030er Jahre. Uns hat interessiert, wie das System im Jahr 2050 aussieht, wenn die Stromversorgung nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien basiert.

Dafür haben wir verschiedene Unsicherheiten durchgespielt: von extremen Wetterjahren über geändertes Verbrauchsverhalten bis zu Import- und Exportabhängigkeiten. Die Idee war, nicht nur bestehende Annahmen zu prüfen, sondern bewusst über den Horizont hinauszuschauen.

Dr. Massimo Moser, Teamleiter Energiesystem

Die Grundfrage lautete: Wie robust ist die Stromversorgung in einem System mit fast 100 Prozent Wind- und Solarenergie?

Massimo Moser

Wie seid ihr methodisch gestartet?

Georgios Savvidis: Wir haben uns ins Jahr 2050 versetzt und überlegt, wie eine dekarbonisierte Welt aussehen könnte, mit E-Mobilität, aktiven Verbrauchern und anderen Anforderungen an das Stromsystem.

Daraus haben wir fünf Themencluster entwickelt:

  1. Wetter und Klimawandel
  2. Dezentraler Flexibilitätsgrad (Prosumer, E-Mobilität, Wärmepumpen)
  3. Zentrale Flexibilität und Rolle von Wasserstoffkraftwerken
  4. Europäische Vernetzung und Energie-Souveränität
  5. Systemverhalten bei unterschiedlichem Nutzer- und Marktverhalten

Wir haben mit unseren Energiesystem-, Markt- und Netzmodellen eine integrierte Modellkette aufgebaut. Sie ermöglicht, das Energiesystem gesamthaft zu betrachten, also die Wechselwirkungen zwischen Strom, Wärme, Verkehr und Industrie.

Das war methodisch ein großer Schritt: Wir mussten unsere Tools weiterentwickeln, die Datenbasis anpassen und verschiedene Fachteams zusammenbringen.

Wichtig war, dass wir nicht nur Stromflüsse, sondern auch sektorübergreifende Rückkopplungen betrachten. Zum Beispiel, wie Elektrolyseure Wasserstoff produzieren, der später wieder in Kraftwerken genutzt oder in der Industrie eingesetzt wird. So entsteht ein realistisches Bild des vernetzten Energiesystems.

Welche Rolle spielen Prosumerinnen und Prosumer?

Geogios Savvidis: Nur weil jemand eine PV-Anlage mit einem Batteriespeicher hat, heißt das noch lange nicht, dass diese Anlagen wirklich flexibel oder gar marktdienlich eingesetzt werden. Und wenn nur die Hälfte der Haushalte auf Preissignale reagiert, merken wir das sofort im Gesamtsystem. Das treibt die Kosten nach oben, in Deutschland um gut anderthalb Milliarden Euro pro Jahr. Deshalb müssen wir in der Planung viel stärker berücksichtigen, wie Menschen tatsächlich handeln, und nicht nur, wie Modelle es idealisieren.

Dr. Georgios Savvidis, Ingenieur Energiemarktanalysen

Egal, ob Batteriespeicher oder Wärmepumpe: smart heißt nicht automatisch marktdienlich.

Georgios Savvidis

Wie muss ich mir die Modellierung vorstellen?

Massimo Moser: Zuerst haben wir als Referenz den bestehenden Netzentwicklungsplan (NEP) in unserer eigenen Modellkette nachgebildet. So konnten wir überprüfen, ob unsere Modelle das bekannte System korrekt abbilden. Anschließend haben wir in Szenarien untersucht, was passiert, wenn sich Rahmenbedingungen verändern: Wetter, Marktverhalten oder Erzeugungseinheiten.

Wir haben historische Wetterjahre, aber auch künftige Klimaprojektionen verwendet, um zu sehen, wie sich Erderwärmung und veränderte Ertragsmuster auf die Stromversorgung auswirken. Außerdem haben wir das Verhalten von Prosumern simuliert: Wie reagieren Haushalte mit PV-Anlage und Batteriespeicher auf Marktpreise? Was, wenn nur die Hälfte flexibel agiert?

Parallel haben wir neue Technologien, insbesondere Wasserstoffkraftwerke, in die Modellierung aufgenommen.

Welche sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

Wettervariabilität ist ein zentraler Faktor. 

Wind- und Solarerträge schwanken von Jahr zu Jahr erheblich. In Deutschland können die Windstromerträge um bis zu ± 15 Prozent differieren, was jährliche Abweichungen von rund 150 TWh bedeutet. Nur mit einem „Durchschnittsjahr“ zu planen, unterschätzt das Risiko. Künftig müssen Wettervariabilität und Klimawandel systematisch in die Planung integriert werden.

Europäische Vernetzung senkt Kosten und Risiken.

Je stärker Europa elektrisch und perspektivisch auch im Wasserstoffsektor verbunden ist, desto robuster und günstiger wird das Gesamtsystem. Eine Verdopplung der grenzüberschreitenden Übertragungskapazitäten könnte Einsparungen von bis zu 18 Milliarden Euro pro Jahr bringen.

Dezentrale Flexibilität ist entscheidend. 

Wenn nur 50 % der Haushalte oder weniger flexibel auf Preissignale reagieren, steigen die europäischen Systemkosten um etwa 11 Mrd. €, für Deutschland um 1,5 Mrd. € jährlich. Die notwendige Flexibilität kann nur genutzt werden, wenn der Roll-out von Smart Metern, dynamischen Tarifen und intelligenten Steuerungen gelingt.

Wasserstoffkraftwerke sind unverzichtbar. 

Fällt dezentrale Flexibilität weg, müssen rund 9 GW zusätzliche H₂-Kraftwerksleistung gebaut werden, um Versorgungslücken zu vermeiden und das Versorgungssicherheitsniveau zu halten.

Robuste Planung statt Idealannahmen.

Die künftige Netz- und Kraftwerksplanung sollte nicht von idealem Nutzerverhalten ausgehen, sondern Unsicherheiten bewusst berücksichtigen. Kombinationen aus ungünstigem Wetter und geringerer Marktteilnahme können sonst zu Versorgungslücken führen.

Zentrale und dezentrale Flexibilität ergänzen einander. 

Haushaltsnahe Lösungen (Wärmepumpen, E-Autos, Batteriespeicher) senken im Alltag die Systemkosten. Zentrale Anlagen wie Wasserstoffkraftwerke sichern dagegen Resilienz bei Dunkelflauten oder Extremsituationen. Beide Ebenen werden gebraucht.

Welche Rolle spielt der Klimawandel in eurer Analyse?

Massimo Moser: Wir haben auch zukünftige Klimaszenarien in die Modelle integriert. Dabei zeigte sich, dass Extremwetterlagen wie heiße, windarme Sommer deutlich stärkere Stresssituationen im System verursachen können.

Wir plädieren dafür, die Klimaziele einzuhalten. Wir wollten aber in einer What-if-Analyse herausfinden, wie das Netz reagieren muss, wenn wir es nicht schaffen.

Massimo Moser

Unsere Analysen basieren unter anderem auf Daten und Austausch mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ziel war es, nicht zu prognostizieren, dass Klimaziele verfehlt werden, sondern zu prüfen: Wie würde das System reagieren, wenn es passiert?

Das Ergebnis: Auch bei ambitionierter Klimapolitik muss die Strom- und Netzplanung künftige Extremjahre mitdenken, um Engpässe zu vermeiden.

Warum habt ihr Klimawandel-Szenarien durchgespielt?

Massimo Moser: Wir wollten nicht vorhersagen, ob Klimaziele erreicht werden oder nicht – das ist nicht unsere Aufgabe. Uns ging es darum, zu verstehen, was mit dem Energiesystem passiert, wenn bestimmte Wetterentwicklungen eintreten. Und da zeigt sich sehr klar: Extremjahre wie heiße, windschwache Sommer oder lange Dunkelflauten können das System viel stärker belasten, als man mit einem Durchschnittsjahr abbilden könnte. Deshalb haben wir diese Klimaszenarien ganz bewusst als Stresstests genutzt. Sie helfen uns zu sehen, ob unser System auch dann noch stabil bleibt, wenn die Realität schwieriger ist als die Annahmen, mit denen wir heute planen.

Es reicht also nicht mehr aus, in der Netz- und Kraftwerksplanung mit einem Durchschnittsjahr zu arbeiten?

Massimo Moser: Gerade die extremen Wetterjahre fordern das System. Unsere Analyse zeigt sehr klar: Wind- und PV-Erträge schwanken von Jahr zu Jahr massiv. Wenn man diese Variabilität nicht mitdenkt, plant man zu optimistisch. Das betrifft übrigens nicht nur Erzeugung, sondern auch Verbrauch und Flexibilität. Wir brauchen also Planungsprozesse, die robuster sind und mehrere Wetterjahre berücksichtigen. Erst dann sehen wir wirklich, wo das System an seine Grenzen kommt.

Welche politischen oder planerischen Schlussfolgerungen zieht ihr aus all dem?

Georgios Savvidis: Drei Punkte sind zentral:

  1. Planungsprozesse robuster gestalten. Die Betrachtung von Wetterextremen muss im Planungsprozess Standard werden.
  2. Flexibilität gezielt fördern. Haushalte müssen technische und ökonomische Anreize erhalten, flexibel auf das System zu reagieren. Das heißt: schneller Roll-out von Smart Metern, dynamische Stromtarife, Vereinfachung regulatorischer Hürden.
  3. Europäische Netzintegration stärken. Der Ausbau der Interkonnektoren ist volkswirtschaftlich sinnvoll. Wichtig sind eine bessere europäische Abstimmung und eine realistische Umsetzungsplanung, einschließlich der nachgelagerten Netzverstärkungen innerhalb der Länder.

Außerdem gilt: Planung sollte realistisch, aber vorausschauend sein – nicht nur kostenoptimal, sondern auch widerstandsfähig gegen Unsicherheiten.

Warum ist die europäische Zusammenarbeit so wichtig?

Georgios Savvidis: Je stärker sich Europa vernetzt, desto stabiler und kostengünstiger wird das Gesamtsystem. Unsere Szenarien zeigen, dass ein ambitionierter Ausbau der Interkonnektoren – über das heute Geplante hinaus – sowohl die Kosten senken als auch die Robustheit gegenüber Wetterextremen erhöhen kann.

Wie wurde die Studie aufgenommen?

Massimo Moser: Wir haben viele Rückmeldungen aus Politik, Wissenschaft und Industrie bekommen und erleben, dass die Studie Diskussionen zur Versorgungssicherheit in Europa anstößt – intern wie extern.

Intern wie extern hat sie Diskussionen ausgelöst, zum Beispiel darüber, wie künftig Wettervariabilität, Flexibilität und Klimarisiken in den offiziellen Prozessen berücksichtigt werden können. Für uns war die Veröffentlichung kein Abschluss, sondern eher der Beginn eines Dialogs. Wir verstehen die Studie als Grundlage für weitere fachliche und politische Diskussionen.

Wir zeichnen Projektionen einer Welt, die 25 Jahre in der Zukunft liegt. Beinahe eine Generation. Die Zukunft wird anders aussehen, als wir sie uns vorstellen. Daher müssen wir nicht nur technisch tiefgreifend planen, sondern auch eine möglichst große Bandbreite an Zukunfts­entwicklungen abdecken.

Georgios Savvidis

Gut versorgt und alles sicher?

Mit unserem Brettspiel können Sie spielerisch erleben, wie robust ein klimaneutrales Energiesystem im Jahr 2050 ist. Würfeln Sie Zukunftsszenarien, testen Sie Ihr Energiesystem gegen überraschende Ereignisse und finden Sie heraus, welche Rolle Flexibilität, Energieangebot und Netzresilienz wirklich spielen.

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Brettspiel Gut versorgt und alles sicher
Perfekt für Workshops, Teamrunden oder einfach nur für einen neugierigen Blick in unsere Energiezukunft.
05

Zahlen, Daten, FAktenAdequacy 2050 im Überblick

Dr. Massimo Moser und Dr. Georgios Savvidis erklären in unseren Shorts die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie Adequacy 2050. Klicken Sie auf eine der Kacheln, um mehr zu erfahren.

Wofür steht eigentlich 3239+?

Als TransnetBW 2012 gegründet wurde, betrug die Länge unseres Netzes exakt 3.239 Kilometer. Seitdem sind die Energiewirtschaft und unsere Aufgabe als Übertragungsnetzbetreiberin in stetem Wandel. Das gilt auch für unser Netz. Der Titel unseres Kundenmagazins 3239+ vereint daher unseren Ursprung mit unserem Anspruch für die Zukunft: Wir wollen wachsen und den Wandel der Energielandschaft als positive Kraft mitgestalten. 

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Wanderfalkenschutz bei TransnetBWStarkes Feedback, starke Wirkung

Die Ergebnisse der jüngsten Kundenbefragung zeigen: TransnetBW wird von Partnern und Kunden als sehr vertrauenswürdig, kompetent und äußerst zuverlässig wahrgenommen. Die Befragung liefert wichtige Erkenntnisse für die Zusammenarbeit mit unseren Kunden – und unterstützt den Artenschutz in Baden-Württemberg.

Alle zwei Jahre wird im Rahmen einer Kundenbefragung durch einen externen Dienstleister ermittelt, wie zufrieden unsere Kunden und Partner mit TransnetBW und den angebotenen Leistungen sind, oder welche Herausforderungen gesehen werden und welche Anforderungen an den Markt erwartet werden. Das Ergebnis: Unsere Kunden sind sehr zufrieden mit TransnetBW! Mit 81 % Gesamtzufriedenheit bewerten unsere Netzkunden und Partner die Arbeit des Unternehmens – ein Wert, der angibt, inwiefern TransnetBW den Erwartungen des Kunden entspricht und wie sehr er sich mit dem Unternehmen verbunden fühlt. Abgefragt wurden unter anderem Themen wie Informationsbereitstellung und Kommunikation, Vertragsabwicklung sowie Markenattraktivität. Das motiviert uns. 

Oder der „Net-Promoter-Score“ – ein Wert, der die Loyalität des Kunden gegenüber der Marke TransnetBW widerspiegelt und der mit +36 (auf einer Skala von –100 bis +100) bei unseren Netzkunden und Partnern einen hervorragenden Wert aufweist. Außerdem gab es auch Fragen rund um Innovationen, Digitalisierung und das Marktpartnerportal.

Für jedes Interview, das geführt wurde, wird ein Geldbetrag der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz des NABU Baden-Württemberg zur Verfügung gestellt: In diesem Jahr beläuft sich die Spendensumme auf 4.150 Euro.

Wanderfalke

Warum unterstützt TransnetBW die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz?

Der natürliche Lebensraum des Wanderfalken ist gefährdet, dem schnellsten Vogel der Welt fehlen zunehmend geeignete Nistplätze. Wanderfalken versuchten in der Vergangenheit oft zunehmend, in verlassenen Nestern auf Höchstspannungsmasten zu brüten. Dabei waren oft Eier oder Jungvögel abgestürzt. Dank handgefertigter Nistkästen, die auf den Masten angebracht werden, können die Höhlen- und Felsenbrüter nun sicher bis zur vollständigen Flugfähigkeit brüten. Diese Kästen wurden vor vier Jahren erstmalig – an insgesamt sieben Standorten – an Masten von TransnetBW montiert und bieten den Falken sowie Uhus ein sicheres Zuhause. Jedes Jahr im Mai steigen Monteurinnen und Monteure auf die Masten und holen den Nachwuchs nach unten. Hier wird jeder Jungvogel beringt. Durch die Beringung kann nachvollzogen werden, wie sich der Bestand entwickelt. Die speziellen Kennringe sind selbst aus 120 Metern Entfernung mit einem Fernglas erkennbar, sodass die Identifizierung möglich ist, ohne die Vögel zu fangen. Dass TransnetBW seit mehreren Jahren einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leistet, wird an den Brutergebnissen an den TransnetBW-Masten sichtbar, betont Dr. Frank Rau der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz.

Die Eroberung „exotischer“ Brutplätze auf Gittermasten schreitet weiter voran und erreichte 2024 mit 21 Revierpaaren (2023: 19 Paare) einen neuen Höchststand! Damit lag ihr Anteil in Baden-Württemberg erstmals über 10 % aller Revierpaare.

Der Baumfalke

Tiere bei TransnetBW

Ich bin der Baumfalke, ein schlanker, wendiger Jäger der Lüfte. Mit meinen rostroten Beinfedern und meiner schiefergrauen Oberseite falle ich im Flug sofort auf. Am liebsten gleite ich über halb offene Landschaften, jage Insekten in der Luft oder schnappe mir kleine Vögel. Doch so frei wie ich wirke – mein Leben ist nicht immer einfach.

Mein Brutgebiet wird kleiner, meine Nahrung knapper: Pestizide und fehlende Bäume machen mir zu schaffen. Deshalb freue ich mich über Unterstützung. TransnetBW achtet bei Bauprojekten wie Stromtrassen darauf, meine Lebensräume zu erhalten. Es werden Horste für uns gebaut, strukturreiche Landschaften gefördert und Nistplätze gesichert. So kann ich auch in Zukunft im Sommer durch Süddeutschland fliegen, bevor ich im Herbst weiter in Richtung Süden ziehe.

  • Gesamtlänge: bis 36 cm
  • Gewicht: 140 bis 350 g
  • Lebenserwartung: bis zu acht Jahre
Baumfalke

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