Konzept

Neubau-Vorschuss

Der „Neubau-Vorschuss“ schafft Investitionsanreize für klimaverträgliche, gesicherte Leistung dort, wo die Anlagen sowohl zur Deckung der Stromnachfrage als auch zur Vermeidung von Netzengpässen beitragen. Das Konzept ist ein Beitrag zur Weiterentwicklung des Marktdesigns und kann mit der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung als implizites Steuerungsinstrument kombiniert werden.

Der Neubau-Vorschuss

Fehlende gesicherte Leistung als Herausforderung

Das in Deutschland gesetzte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erfordert einen rasanten Umbau des Energiesystems. Gleichzeitig soll eine jederzeit sichere Stromversorgung auch zukünftig gewährleistet sein.

Damit beides gelingt und klimaschädliche Kohlekraftwerke wie geplant bis 2030 vom Netz gehen können, braucht es einen erheblichen Neubau von klimaverträglicher gesicherter Erzeugungsleistung.

Dringend benötigt wird der Neubau insbesondere im Süden und Westen Deutschlands, wo schon heute störungsanfälligen, alten Kohlekraftwerken die Stilllegung verboten werden muss, um die Systemsicherheit zu gewährleisten. Eine zielführende Verortung des Neubaus unter Berücksichtigung verschiedener Systembedarfe aus Sicht der Übertragungsnetzbetreiber zeigt, dass mehr als zwei Drittel der Anlagen im Süden und Westen Deutschlands entstehen müssten, konkret ca. 6,5 Gigawatt in Baden-Württemberg.

Doch es wird kaum investiert, obwohl die Bundesnetzagentur von einem zusätzlichen Bedarf von 17 bis 21 Gigawatt bis 2031 an wasserstofffähigen Gaskraftwerken ausgeht. Investitionen in Neubau-Projekte sind bislang nicht wirtschaftlich. Jedoch ist der Handlungsdruck enorm und setzt voraus, dass politische Initiativen wie die kommende Kraftwerksstrategie vom BMWK kurzfristig Impulse setzen müssen.

Der Neubau-Vorschuss schafft kosteneffizient, beihilferechtskonform und schnell regional gesicherte Leistung und kann mit der Kraftwerkstrategie kombiniert werden.

Heute besteht bei den Investoren eine hohe Unsicherheit wie oft ein Kraftwerk durch die Übertragungsnetzbetreiber fürs Engpassmanagement angefragt wird. Doch die Redispatch-Einsätze machen an vielen Kraftwerksstandorten einen relevanten Anteil der Betriebsstunden aus. Der Einsatz für die Netzstabilisierung wird im Nachgang auch über den "anteiligen Werteverbrauch" vergütet. Dieser trägt wesentlich zur Deckung der Fixkosten bei, ist aber für Investoren kaum planbar.  

Mit dem Neubau-Vorschuss wird den Investoren Unsicherheit genommen: Denn der Umfang der Einsätze für die Netzstabilisierung wird je nach Netzregion prognostiziert und ein Teil der Vergütung ("anteiliger Werteverbrauch") vorab garantiert. Über einen Ausschreibungsmechanismus wird die Kosteneffizienz sichergestellt.

Die Garantie der Netzstabilisierungseinsätze kann in Gebote im Rahmen der Kraftwerksstrategie eingepreist werden. Dadurch werden Investitionen an systemdienlichen Orten begünstigt. Der Neubau-Vorschuss ist laut Gutachten der Kanzlei White & Case beihilferechtskonform, entlastet den Haushalt und macht die Energiewende günstiger und kann schnell implementiert werden.

Blick auf 2030: 
Verortung des Bedarfs an zusätzlicher gesicherter Leistung unter Berücksichtigung der Systembedarfe

Quelle: 4ÜNB, Angaben in GW. Dargestellt ist eine beispielhafte zielführende Verortung des Zubaubedarfs

Auch die Bundesnetzagentur macht in ihrem Versorgungssicherheitsbericht Strom 2023 auf die Bedeutung einer sinnvollen Regionalisierung aufmerksam:

“Zudem ist die Lage der Redispatch-fähigen Anlagen, insbesondere derer, die Hochfahrpotential bereitstellen können, relevant für den sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb. Erfolgt beispielsweise ein Großteil des Neubaus von Gas- und Dampfkraftwerken im Norden Deutschlands und damit vor den derzeit bestehenden Netzengpässen, könnte deren Hochfahrpotential im Redispatch nicht genutzt werden. Es müsste, trotz Neubau, verstärkt auf Netzreservekraftwerke im Süden zugegriffen werden.“

Quelle: Bundesnetzagentur, Bericht zu Stand und Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Elektrizität 2023 (bmwk.de) 

Forderungen

Was jetzt politisch gefragt ist

  1. Die Kraftwerksstrategie muss kurzfristig den Rahmen für Neubau schaffen

    Nur so können klimafreundliche Marktkraftwerke noch vor 2030 entstehen. Damit wird der Kohleausstieg flankiert, die Klimaziele können erreicht werden und gleichzeitig wird eine stabile Versorgung mit Strom gewährleistet.

  2. Optimale Standorte aus Sicht der System- und Versorgungssicherheit sicherstellen

    Die Einführung einer lokalen Komponente ist unerlässlich. Die Anlagen müssen dort gebaut werden, wo sie am besten für die System- und Versorgungssicherheit wirken. Der Neubau-Vorschuss liefert eine kosteneffiziente und systemdienliche Verortung und muss als schnell implementierbares Instrument mit der Kraftwerksstrategie kombiniert werden.

  3. Systemanalysen erweitern und als rechtliche Grundlage für den Umfang der benötigten Redispatch-Bedarfe setzen

    Die Bewertung der zukünftigen Versorgungs- und Systemsicherheit muss integriert erfolgen. Dafür müssen die Systemanalysen erweitert und zur rechtlichen Grundlage für die Höhe der regional benötigten Kraftwerkskapazität und der Redispatch-Stunden werden, die die Übertragungsnetzbetreiber ausschreiben.

  4. Voraussetzungen für eine schnelle Umstellung auf H2 schaffen
     

    Damit der Umstieg der neuen Anlagen auf klimafreundlichen Wasserstoff als Brennstoff schnell gelingt, muss die Planung des Energiesystems integriert erfolgen und ein verlässlicher Planungsrahmen für Investoren geschaffen werden. 

    Es muss sichergestellt werden, dass alle Regionen in Deutschland gleichermaßen über Wasserstoff-Leitungen angeschlossen werden. Es ist absehbar, dass ein Großteil des Wasserstoffs importiert und transportiert wird. Leitungsneubau muss dort politisch forciert werden, wo heute schon ersichtlich ist, dass ein Anschluss ans Wasserstoffnetz durch Umwidmung von Erdgasleitungen andernfalls erst weit nach 2035 möglich ist.

  5. Systemreserve einführen
     

    Parallel soll die Systemreserve eingeführt werden, die die Reserveinstrumenten bündelt und deren Einsatz vereinfacht. Für die Übergangszeit, bis die Kraftwerke gebaut sind, muss eine nachhaltige und mittelfristige Planung der Netzreserve erfolgen. Systemrelevanz-Prüfungen von Kraftwerken in der Netzreserve müssen längere Zeithorizonte umfassen.

Funktionsweise

Wie der Neubau-Vorschuss funktioniert

Prognose
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Prognose

Die Übertragsnetzbetreiber prognostizieren den regionalen Bedarf an gesicherter Kraftwerksleistung und Redispatch.

Bewerbung
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Wettbewerbliche Ausschreibung

Übertragungsnetzbetreiber schreiben auf Basis der Prognosen den Bau von Kraftwerken in einer Region aus. Die Investoren, die neue Kraftwerke bauen wollen, beteiligen sich an der Ausschreibung. Sie berechnen auf Basis ihrer Investitionskosten und den durch die Übertragungsnetzbetreiber prognostizierten Einsätzen für die Netzstabilisierung ihre Vergütungsforderung. Diese entspricht dem im BDEW-Branchenleitfaden definierten Redispatch-Werteverbrauch.

Zuschlag
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Zuschlag

Der Zuschlag geht an die klimafreundlichen Kraftwerke mit der geringsten Vergütungsforderung.

Neubau
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Neubau

Neue wasserstofffähige Marktkraftwerke entstehen dort, wo sie einen optimalen Beitrag zur System- und Versorgungssicherheit bieten.

Wirksamkeit

Investitionsrechnung belegt Anreizwirkung

Eine Investitionsrechnung des Beratungsunternehmens Enervis belegt die Anreizwirkung des Neubauvorschuss-Konzeptes. Die Ergebnisse zeigen, dass der Neubau-Vorschuss eine entscheidende Anreizwirkung zum Neubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken entfalten kann. Mehr dazu im Impulspapier.

Die Modellrechnungen bestätigen zunächst, was sich auch in der Realität zeigt: Ohne zusätzliche Anreize ist der Neubau von H2-ready Gaskraftwerken für Investoren derzeit nicht wirtschaftlich. Sowohl für GuD-Anlagen als auch für Gasturbinen ergibt sich in der Investitionsrechnung eine Deckungslücke.

Die Abbildung zeigt den Barwert der Kosten- und Erlöse über den Zeitraum von 2028-2050 im Referenzszenario 2, Strommarkterlöse aus Gas- und H2-Betrieb, Studie Enervis 2023.

Wird hingegen der Neubau-Vorschuss gewährt, steigt der Kapitalwert und damit die Wirtschaftlichkeit der Investition in Abhängigkeit von der Dauer und Höhe der durch den Neubau-Vorschuss garantierten zukünftigen Redispatch-Zahlungen. 

Für eine H2-ready GuD-Anlage zeigt die Berechnung im mittleren Szenario (Referenzszenario 2), dass bei einer über zehn Jahre garantierten Redispatch-Vergütung bei 650 Redispatch-Einsatzstunden pro Jahr die Schwelle der Wirtschaftlichkeit erreicht wird. Diese Redispatch-Betriebsstunden liegen für GuD-Anlagen in Süd- und Westdeutschland im mittelfristig zu erwartenden Bereich (⌀ 930 h/a für 2030 nach internen Netzberechnungen). 

Bei H2-ready-Gasturbinen erreicht die Investition die Schwelle zur Wirtschaftlichkeit bereits bei einem Neubau-Vorschuss von 10 Jahren und mindestens 175 jährlichen Redispatch-Einsatzstunden.

Anzahl der Redispatch-Betriebsstunden, für die die Vergütung bei Investition garantiert wird

Der Neubau-Vorschuss wirkt vor allem in den Regionen, in denen häufig Kraftwerke zur Netzstabilisierung herangezogen werden müssen.

Quelle: Investitionsrechnung von Enervis im Auftrag von TransnetBW.

Vorteile

Der Neubau-Vorschuss im Überblick

Schnell und marktorientiert

  • ­­­­Wenige regulatorische Anpassungen notwendig
  • Umsetzung im Energy-Only-Markt
  • Anlagen können bis 2030 entstehen
Beihilferechtskonform

Beihilferechtskonform

  • Laut beihilferechtl. Gutachten der Kanzlei White & Case genehmigungsfähig

Kosteneffizient

  • Durch Garantie eines schon bestehenden Vergütungsbestandteils kostenneutral
  • Hohe Kosteneinsparungen für Kraftwerksstrategie möglich

Systemdienlich

  • Anlagen entstehen regional dort, wo sie zur Deckung der Residuallast und zur Netzstabilisierung gebraucht werden.

Regulatorische Handlungs­empfehlungen

Rahmen für kurzfristige Investitionen in Marktkraftwerke für die System- & Versorgungssicherheit

Impulspapier Versorgungssicherheit 

Neubau-Vorschuss: Anreize für den Neubau gesicherter Leistung an systemdienlichen Standorten

Marina SchmidNationale Energiepolitik
Marktdesign, Redispatch 3.0, Anreize für gesicherte Leistung
m.schmid2@transnetbw.de+49 711 21858 3829