Innovation

Kompensationsanlagen für Blindleistung

Für ein stabiles Stromnetz

Hintergrund

Immer unter Spannung

Für den kontinuierlichen Transport von Strom im Stromnetz sind zwei Größen von besonderer Bedeutung: Frequenz und Spannung.

Die Frequenz beschreibt, wie oft der Strom pro Sekunde seine Richtung wechselt. Dadurch stehen die Leitungen unter Spannung. In Deutschland und Europa beträgt die Netzfrequenz 50Hertz. Das heißt, dass der Strom 100-mal pro Sekunde seine Richtung wechselt. 

Spannung beschreibt die Kraft, die den Stromfluss verursacht. Sie ist vergleichbar mit dem Druck in einer Wasserleitung: Je höher die Spannung, desto mehr Elektronen können durch die Stromkreise transportiert werden. TransnetBW betreibt Stromleitungen mit einer Spannung von 220 und 380 Kilovolt. 

Hintergrund

Was ist Blindleistung?

Um die notwendige Spannung im Stromnetz zu erzeugen, muss der Strom 100-mal in der Sekunde seine Richtung ändern. Dafür werden elektrische und magnetische Felder mit einer Frequenz von 50Hertz auf- und abgebaut. 

Die benötigte Energie zum Aufbau dieser Felder heißt Blindleistung. Sie überträgt keine Energie, ist aber für die Energieübertragung mit Wechselstrom unverzichtbar. Damit sowohl das elektrische als auch das magnetische Feld bestehen bleiben, muss immer ausreichend Blindleistung vorhanden sein. 

Durch Blindleistung lässt sich die Spannung im Übertragungsnetz bedarfsgerecht anheben oder absenken. So bleibt die Netzspannung frei von Schwankungen und das Netz stabil.

Diese Aufgaben haben bisher Generatoren in großen Kraftwerken übernommen. Da diese im Zuge der Energiewende nach und nach vom Netz gehen, geht diese Aufgabe an die Übertragungsnetzbetreiber über. Aus diesem Grund baut TransnetBW verstärkt eigene Anlagen mit moderner Technologie, die Blindleistung selbst regional bereitstellen können - sogenannte Kompensationsanlagen für Blindleistung.

Kompensationsanlagen

Moderne Technologien stabilisieren das Stromnetz

Um die Spannung im Netz bei Bedarf zu reduzieren, setzt TransnetBW  Kompensationsdrosselspulen (KPDR) ein. Kompensationskondensatoren (MSCDN-/KPKO-Anlagen) hingegen können die Spannung im Stromnetz bedarfsgerecht erhöhen. 

 

STATCOM-Anlagen (engl. Static Synchronous Compensator) können sowohl spannungsreduzierend als auch spannungserhöhend wirken und stabilisieren die Spannung im Netz in beide Richtungen. Eine Weiterentwicklung der herkömmlichen STATCOM-Anlage ist die sogenannte E-STATCOM.

KPKO am Umspannwerk Mühlhausen

Kompensations-kondensator (KPKO)

Kompensationskondensatoren (KPKO) können die Spannung erhöhen, etwa während einer sehr hohen Netzauslastung zur Mittagszeit. Die englische Bezeichnung lautet Mechanical Switched Capacitor with Damping Network (MSCDN).

Diese Anlagen können Blindleistung, die auf der Höchstspannungsebene die Übertragungsnetze und Transformatoren belastet, in das Netz einspeisen. Durch eine gleichmäßige Verteilung der Anlagen im Netz wird ein regionaler Ausgleich erreicht und der Transport von Blindleistung über weite Strecken vermieden. Die in Umspannwerken installierten Kompensationskondensatoranlagen sorgen dafür, dass mehr Strom transportiert und das Netz besser ausgelastet werden kann.

Sie bestehen aus miteinander verschalteten Kondensatoren und einer Filteranlage zur Dämpfung von elektrischen Oberschwingungen.

KPDR am Umspannwerk Mühlhausen

Kompensations-drosselspule (KPDR)

Eine Kompensationsdrosselspule, kurz KPDR, wird bei einer geringeren Netzauslastung in eingesetzt - beispielsweise in der Nacht. Sie trägt dazu bei, die Netzspannung aufrecht zu erhalten.

Die KPDR besteht im Kern aus der Drosselspule, die auf beiden Stirnseiten von zwei Kühlaggregaten eingefasst wird. Die aus der Drosselspule nach oben zeigenden sogenannten „Kerzen“ stellen die Verbindung zum Stromnetz her. Auf einem der beiden Kühlaggregate ist ein Ölausdehnungsgefäß befestigt, das zur Regulierung des Öls in der Drosselspule dient.

E-STATCOM

TransnetBW setzt auf E-STATCOM

Im Unterschied zu einer herkömmlichen STATCOM kann eine E-STATCOM (Energiespeicher + STATCOM) nicht nur Blindleistung mit dem Netz austauschen, sondern auch Wirkleistung aufnehmen und abgeben. Wirkleistung ist die elektrische Leistung, die aus der heimischen Steckdose kommt. Zentraler Bestandteil dafür ist der angeschlossene Kurzzeitenergiespeicher. 

Bei einer schnellen Änderung von Erzeugung oder Verbrauch im Stromnetz stellt die E-STATCOM kurzfristig Energie bereit oder nimmt überschüssige Energie auf, bis die Speichergrenzen erreicht sind.

So kann das anfängliche Ungleichgewicht sofort ausgeglichen werden, bis weitere zugeschaltete Energiereserven aus anderen Quellen, beispielsweise Batteriespeicher, ihre Wirkleistung angepasst haben. Das passiert zum Beispiel, wenn ein großes Kraftwerk oder eine Industrieanlage störungsbedingt ausfällt. Eine E-STATCOM funktioniert also wie eine Art Fallschirm. Sie setzt ein, bis Betriebsmittel wie Batteriespeicher oder Kraftwerke einspringen können.

Darüber hinaus erweitert die E-STATCOM die konventionelle STATCOM um netzbildende Eigenschaften, sogenanntes „Grid-Forming“.

Funktionsweise der
E-STATCOM

In einem kurzen Film erklären wir Ihnen die Bedeutung der E-STATCOM und ihre Funktionsweise im Stromnetz.

Was ist eigentlich Grid-Forming?

Grid-Forming ist eine wichtige Eigenschaft der E-STATCOM und entscheidend für ein stabiles Netz. Aber was steckt hinter dem Begriff?

E-STATCOM

E-STATCOM IM DETAIL

Mit der E-STATCOM ist die Blindleistung stufenlos und sehr schnell einstellbar, sodass unmittelbar auf wechselnde Bedingungen im Netz reagiert und die Spannung stabilisiert werden kann.

1. Kondensatorhalle

Innerhalb der Kondensatorhalle befinden sich mehrere sogenannte „Superkondensatoren“, welche über den Umrichter angeschlossen werden. Durch diesen Kurzzeitenergiespeicher ist die E-STATCOM Anlage in der Lage, kurzfristig Energie auf- bzw. abzugeben, um somit die Stabilität im Übertragungsnetz zu gewährleisten. 

2. Umrichterhalle

Der Umrichter ist das Zentrum der Anlage. Er verbindet die Gleichspannungskondensatoren mit dem Übertragungsnetzt. Durch eine leistungsstarke Steuerung ist der Umrichter in der Lage, netzdienliche Aufgaben (wie z.B. Blindleistung, Frequenz- sowie Spannungsstabilität, Trägheit) in Sekundenbruchteilen zu erbringen.

3. Betriebsgebäude

Das Betriebsgebäude enthält die für den Betrieb der Anlage benötigten Instrumente, unter anderem Steuerungs- und Kommunikationselektronik sowie einen Bedienplatz.

4. Umrichterkühlung

Der Umrichter wird durch eine außenstehende Kühlanlage aktiv wassergekühlt. Das ist notwendig, da im Prozess des Umrichters Verlustleistung entsteht, die als Wärme möglichst effizient an die Umgebung abgegeben wird. 

5. Drosselspulen

Die Drosselspulen befinden sich innerhalb der E-STATCOM Anlage, zwischen dem Umrichter und dem Übertragungsnetz.  Sie dienen einerseits dazu den Strom des Umrichters zu „glätten“ und andererseits als Netzfilter, um hochfrequente Anteile herauszufiltern.

6. MS-Schaltanlage

Die MS-Schaltanlage dient dazu, unterschiedliche Schalthandlungen innerhalb der Anlage vorzunehmen. Dabei kann die Anlage z.B. frei bzw. geerdet werden, um bei Wartungsarbeiten gefahrlos die Anlage betreten zu können. Die MS-Schaltanlage wird dabei als Freiluft bzw. Luftisolierte Schaltanlage ausgeführt.

Fragen zur E - STATCOM

Interview mit Projektleiter
Lukas Kaiser

Die E-STATCOM ist der „Alleskönner“ untere den Blindleistungskompensationsanlagen: Sie ist superschnell und maximal flexibel. Dies verdankt die E-STATCOM dem Einsatz von leistungselektronischen Umrichtern, welche aktiv steuerbar sind und so induktive und kapazitive Blindleistung stufenlos „synthetisch“ erzeugen können.

Die klassischen Blindleistungsanlagen müssen hingegen mechanisch geschaltet werden und sind dadurch entscheidend langsamer. Ferner kann man die Höhe der Blindleistung bei den klassischen Anlagen auch nur begrenzt einstellen.

Dank der Umrichter mit Grid-Forming Funktion kann die E-STATCOM Blindleistung in Millisekunden bereitstellen. Und das jeweils in exakt der Menge, die auch wirklich vom Netz benötigt wird. Dadurch kann die Anlage auf plötzlich eintretende Schwankungen oder Fehler reagieren, noch bevor sie im Netz spürbar werden.

Unbedingt, denn wenn es darum geht, eine konstante Menge Blindleistung über mehrere Minuten oder Stunden bereitzustellen, sind Kompensationskondensatoren bzw. – drosseln vollkommen zweckmäßig und gehen Hand in Hand mit E-STATCOM Anlagen. Die E-STATCOM fängt die kurzfristigen Ereignisse ab und übergibt dann bei konstantem Blindleistungsbedarf an die klassischen Blindleistungsanlagen. Die E-STATCOM ist dadurch wieder entlastet und bereit, beim nächsten Netzereignis erneut blitzschnell zu reagieren.

E-STATCOM-Anlagen benötigen eine Fläche von ca. 85 x 45 m. Das entspricht in etwa einem halben Fußballfeld.

Die Zeit vom Start der Bauarbeiten bis zur Inbetriebnahme einer E-STATCOM beträgt ca. drei Jahre. Das beinhaltet Erd- und Fundamentarbeiten, Hochbau, Innenausbau, Installation der elektrischen Komponenten und Inbetriebsetzung.

„Durch Anlagen zur Blindleistungskompensation können wir auf Änderungen im Stromnetz reagieren und die Netzstabilität gewährleisten.“ 

Lukas Kaiser, Projektleiter E-STATCOM TransnetBW